Andreas Kramer, Professor an der Hochschule für Künste, entwickelt Produkte – unter anderem aus Popcorn

Beitrag im Weser Kurier vom 1. Oktober 2020
von Maurice Arndt

Bremen. Mal salzig, mal süß – und oft in Verbindung
mit einem Blockbuster serviert. Klare
Sache: Hier handelt es sich um Popcorn. Doch
keine dieser Eigenschaften interessiert Andreas
Kramer bei seiner Arbeit. Seit 2001 ist er
Professor für Produktdesign und computergestützte
Konstruktionen im Fachbereich
Kunst und Design an der Hochschule für
Künste (HfK). Dort konstruiert er zusammen
mit Studierenden unter anderem Möbel aus
der Nascherei.
Wie es dazu kam? „In meinem Lehrgebiet
arbeite ich immer wieder mit verschiedenen
Kooperationspartnern und Materialien“, erklärt
der Professor. „Und Klimawandel oder
Überbevölkerung sind einfach die Themen der
Zeit und der Generation, für die ich lehre.“ Er
wolle den Studierenden vermitteln, wie man
nachhaltige Gegenstände konstruiere. Das
ginge unter anderem über Qualität, Multifunktionalität
oder Material – wie eben Popcorn.
„Es ist relativ ähnlich zu Styropor, nur
eben rein biologisch“, erklärt Kramer. Entwickelt
wurde der Werkstoff am Büsgen-Institut
in Göttingen
. Dort wird der Mais zunächst
in einer großen Maschine aufgepoppt und anschließend
in geschredderter Form zusammen
mit einem Bindemittel in quadratische
Platten gepresst. „Das Material ist sehr
leicht, kompostierbar und schwerer entflammbar
als Styropor. Zudem ist es nicht giftig“,
sagt der Professor. Einzig: „Da es weder
gesalzen noch gezuckert ist, schmeckt es
nicht.“
Doch Mais steht als Rohstoff auch in der
Kritik: Es werde zu viel von ihm angebaut und
die Monokulturen würden die Äcker auslaugen.
Die Pflanze wird unter anderem als Tierfutter
und für Biogasanlagen genutzt. Warum
also einen weiteren Grund für den Maisanbau
unterstützen? „Die gleiche Frage könnte man
für alle nachwachsenden Rohstoffe stellen“,
meint Kramer. Holz etwa würde zumindest
ebenfalls Flächen beanspruchen, auf denen
man auch Nahrungsmittel anbauen könnte.
„Und überhaupt: Einerseits fordern alle Bioökonomie,
andererseits muss man dann aber
auch bereit sein, dafür Flächen abzugeben.“
Ideen kommen in der Badewanne
Nutzbar ist der Mais unter anderem als
Dämmmaterial oder eben für Möbel. Stellvertretend
dafür stehen zwei Hocker, die aktuell
auf der MS Wissenschaft – einer schwimmenden
Ausstellungsfläche, die durch Deutschland
reist – zu sehen sind. Passend zum Thema
der diesjährigen Ausstellung Bioökonomie.
„Das sind unsere ersten Prototypen. Sie haben
einen runden Eisensockel und können praktisch
nicht umfallen“, sagt Kramer. Von Bord
fallen dürften die Hocker auch nicht: Sie sind
nicht wasserfest. Zwar seien sie mit einem
Schutzfilm aus Epoxidharz überzogen, der vor
Spritzwasser schützte. Generell verträgt sich
das Material aber nicht mit Wasser. „Gartenmöbel
aus Popcorn wären keine gute Idee“,
meint der Designer.
Zu Indoor-Möbeln wird es trotz der Prototypen
allerdings auch nicht kommen – zumindest
nicht in der näheren Zukunft. Da die Hocker,
ebenso wie einige andere Entwürfe, im
Rahmen der Vorlesung entstanden sind, ist
das Thema vorerst abgehackt. „Im nächsten
Jahrgang widme ich mich wieder einem anderen
Projekt“, sagt Kramer.
Und davon hat er einige. Auf seinem
Schreibtisch präsentiert er etwa einen größenverstellbaren
Kerzenhalter
oder eine runde
Obstschale
, die kurzerhand zu einer Schale in
Schlangenform umgebaut werden kann. Gemein
haben fast alle Konstruktionen, dass sie
multifunktional sind – und, dass sie aus dem
3D-Drucker kommen. Die meisten der von
ihm designten Gegenstände, die in seinem
Büro lagern, sind Prototypen oder Muster. Zur
Marktreife schaffen es bei weitem nicht alle.
Die Ankensteine beispielsweise – Bauklötze
zum selber herstellen
– sind so ein Fall. Zwar
finden sich die geometrischen Formen der
Klötze nun im Popcorn-Material wieder. Doch
kaufen kann man das Spielzeug nicht.
Andreas Kramer sieht sich selbst als Erfinder.
Ideen für seine Projekte findet er über verschiedene
Wege. „Manchmal kommen mir
einfach so Badewannenideen. Wobei diese
Geistesblitze eher die Ausnahme sind“, sagt
der Designer. Viele Einfälle kämen aus der
eigenen Erfahrung. Die Bauklötze zum selber
bauen
, habe er sich etwa als Kind selbst einmal
gewünscht. „Beim Spielen fehlte mir oft
nur ein einziger, bestimmter Klotz.“ Andere
Dinge würde er schlicht im alltäglichen Leben
vermissen. Dazu kommen Auftragsarbeiten
und Einfälle von seinen Studenten.
„Natürlich klaue ich keine Ideen“, betont er.
Doch der Austausch mit seinen Lehrlingen
oder deren Herangehensweise an Aufgabenstellungen
bringe ihn selbst immer wieder auf
neue Ansätze. Die Vielfältigkeit reizt ihn.
„Wenn ich sehe, wie meine Studenten etwas
konstruieren – da kribbelt‘s immer etwas. Ich
bekomme dann selbst Lust etwas zu bauen.“
Er habe schon immer Dinge entworfen,
meint Kramer. „Ich wollte lange Architekt
werden, doch das war mir nicht kreativ genug.“
Das erste Produkt, auf das er stolz war,
entwarf er im zweiten Semester seines Bachelor-
Studiums Industriedesign: „Compact
Chess“
. Ein aufrollbares Schachspiel auf
einem Ledertuch, das auch als Tischset
dient. Wichtig ist für ihn, damals wie heute:
Es sollte möglichst multifunktional sein
und die Funktion muss im Vordergrund stehen.
Dann kann es auch Popcorn sein.

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